Vor Jahren bin ich einen Weg gegangen, der aus meiner tiefsten Sehnsucht geboren wurde – nicht aus Neugier, sondern aus einem inneren Drängen.
Ich wollte verstehen. Wollte durchschauen, was den Körper schmerzen lässt, was die Seele zum Schweigen bringt, was Menschen atemlos macht – innerlich wie äußerlich.
Ich ließ mich zur Yogatherapeutin ausbilden – in Neuseeland, in Deutschland, in Amerika. Nicht, weil ich dem Yoga nur körperlich folgen wollte. Sondern weil ich ahnte, dass der Körper ein Tor ist, zur Erinnerung, zur Heilung, zur Wahrheit.
In den Wochen in Amerika tauchte ich tief. Trauer, Trauma, Depression. Krebs, Sucht, Verlust. So viel Schmerz – und doch auch so viel Hoffnung in den stillen Zwischenräumen. Fünf Tage lang widmeten wir uns dem Ayurveda. Und ich erkannte: Ich hatte geglaubt, viel zu wissen. Doch dieses Wissen zersprang in Demut, als ich spürte, wie fein, wie komplex, wie verletzlich und gleichzeitig kraftvoll der Mensch in seiner Essenz ist.
Und dann kam diese eine Erkenntnis, wie ein stiller Schock: Wir alle tragen das Potenzial zur Sucht in uns. Nicht als Makel – sondern als Ausdruck einer tiefen emotionalen Not. Ein Ungleichgewicht, das nicht schreit, aber leise ruft. Nach Verbindung. Nach Halt. Nach einem Raum, in dem das Fühlen wieder erlaubt ist.
Ob Alkohol, Zucker, Medien, Arbeit – die Substanzen unterscheiden sich, doch die Mechanismen ähneln sich. Wir greifen, um nicht zu spüren. Wir konsumieren, um nicht zu fühlen. Wir betäuben, um uns selbst zu entkommen.
Und ich erkannte meine eigene Wunde. Wie sehr es mich erschüttert, wenn andere trinken – nicht, weil ich urteilen will. Sondern weil ich fühle, was unausgesprochen bleibt. Die Sehnsucht hinter dem Schluck, das Unausgesprochene hinter dem Lächeln. Weil ich spüre, wie nahe wir alle am Rand stehen – zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen Betäubung und Bewusstheit.
Ich öffne keine Schubladen. Ich gebe keine Etiketten. Ich verurteile nicht. Ich lausche. Ich halte. Ich atme. Ich bin da.
Ich halte Raum – für die leisen Geschichten, für die Wunden, die noch keine Sprache haben, für das Heilige, das erinnert werden will.
Denn Sucht beginnt nicht mit dem Griff zur Flasche, nicht mit dem vierten Glas Wein. Sie beginnt da, wo das Gefühl keinen Platz mehr findet. Wo Schmerz stillschweigend verbannt wird. Wo das innere Kind sagt: Ich darf so nicht sein.
Doch wir – wir Frauen von heute – wir sind hier, um etwas zu drehen. Wir öffnen Räume, wo früher nur Schweigen war. Wir halten aus, wo andere weggesehen haben. Wir geben uns selbst die Erlaubnis, einfach zu sein. Nicht zu leisten. Nicht zu gefallen. Nicht zu funktionieren.
Wir sitzen still, wenn der Sturm tobt. Und wir bleiben weich, wenn die Welt laut wird. Denn in unserer Weichheit liegt unsere Kraft. In unserer Stille liegt unsere Weisheit. In unserer Tiefe liegt der Wandel.
Und wenn der Vollmond alles in uns hervorholt, was sich noch zeigt, dann stehen wir nicht auf, um zu kämpfen – wir bleiben sitzen, und atmen. Wir fühlen. Wir erinnern.
Und aus dieser Tiefe heraus entsteht das Heilig Weibliche neu. Nicht in Büchern. Nicht in Konzepten. Sondern in uns. In deinem Schoß. In deiner Stimme. In deinen Tränen. In deiner bloßen, puren Existenz. Und wenn du denkst, du bist allein mit deinem Fühlen, dann wisse: Du bist Teil eines alten Kreises.
Ein Kreis aus Müttern, Großmüttern, Töchtern, die sich erinnern. Die sich berühren, ohne sich zu sehen. Die dich auffangen, wenn du glaubst zu fallen.
Wir sind viele.
Und wir sind da.