Abschied nehmen bedeutet nicht nur, das Schwere hinter sich zu lassen. Es heißt auch, loszulassen, was einst geliebt wurde.
Ein Mensch.
Ein Raum.
Eine Lebensphase.
Eine Geschichte.
Vielleicht sogar eine Illusion.
Und ich frage mich heute: Lebe ich in einer Illusion oder in meiner Wahrheit? Was ist überhaupt Wahrheit – und was ist meine Wahrheit? Wofür stehe ich? Welche Werte tragen mich, wenn alles andere wegbricht? Ich bin sicher: Es geht darum, unsere Werte wiederzuentdecken. Sie zurück in unser Leben zu holen, ihnen wieder Raum zu geben.
Nicht mehr in alten Glaubenssätzen, Normen oder gesellschaftlichen Schubladen zu verharren – sei es Muttertag, Weihnachten, Kirche, Politik oder die eigene Selbstsicht.
Ich will nicht alles infrage stellen – doch ich öffne die Augen. Denn oft sind es genau diese scheinbar unumstößlichen Systeme, die uns in einem unsichtbaren Gefängnis halten – in einem goldenen Käfig, bequem und doch zu eng.
Weite macht Angst. Freiheit fordert uns heraus. Ohne ein festes System fühlen wir uns schnell einsam. Doch was ist Einsamkeit wirklich? Und was bedeutet es, allein zu sein? Wie fühlt sich echte Nähe an – zu mir, zu anderen? Und warum fühle ich mich manchmal gerade inmitten von Menschen am einsamsten?
Heute fließen meine Tränen. Ich lasse sie zu. Ich verabschiede die Erwartungen, die Bilder, die ich mir so sehr gewünscht hatte – für mich, für meinen Partner, für meine Kinder. Sie lösen sich auf. Und was bleibt, ist ein Raum – ohne Rahmen.
Doch genau daraus kann etwas Neues entstehen. Ein neues Bild. Ein neuer Anfang.
Als wir vom Segeln zurück in das System kamen, wusste ich nicht, wie schwer es werden würde, hier wieder Fuß zu fassen. In einer Gesellschaft, die so festgefahren scheint. Und ich erkenne: Sie ist nur so fest, wie ich es selbst noch bin. Der Widerstand, den ich spüre, ist der in mir.
Ich erinnere mich: Vor zehn Jahren sagte der Schulleiter der freien Schule zu mir, „Es kann sein, dass Ihre Tochter keinen Schulabschluss erhält. “ Frisch aus der Weite unseres Lebens dachte ich: Macht nichts. Zertifikate, Bewertungen – das ist nicht alles. Wichtig ist, den Menschen zu sehen – mit dem Herzen, auf Augenhöhe.
Und es kam genau so. Meine Tochter hat keinen Abschluss gemacht. Und plötzlich war es nicht mehr nur eine Idee. Es war Realität. Ich dachte, ich könnte damit gut umgehen. Sie kann es. Ich kämpfe. Denn die Konsequenzen sind vielschichtig, ziehen sich wie ein Faden durch unseren Alltag.
Nun steht mein Sohn vor seiner Prüfung – und fällt das erste mal durch. Wieder klopft das Thema an meine Tür. Wieder stellt sich die Frage: War das alles richtig?
Ich bin einst zurückgekehrt ins System, damit meine Kinder eine gute deutsche Ausbildung gekommen – damit ihnen alle Türen offenstehen. Doch das Leben hat andere Pläne. Und wieder lerne ich Demut.
Und doch weiß ich: Meine Kinder sind starke Seelen. Anders. Kraftvoll. Wunderbar. Sie sind das größte Geschenk, das ich empfangen durfte – und das ich dieser Welt schenken darf.
Ich bete.
Ich vertraue.
Ich rufe alle kraftvollen Frauen zusammen.
Wir halten Raum.
Wir begleiten.
Wir stärken.
Damit meine Tochter, mein Sohn, unsere Kinder, unser Erbe, unser Wissen
– mit Würde –
ihre Plätze in dieser Welt einnehmen können.