Wut spüren – ohne sie zu fürchten.
Ein zweites Mal wird mir die Existenz genommen.
Und ja – ich weiß, ich habe es zugelassen.
Ich weiß in der Theorie, wie es anders ginge, wie ich es besser machen könnte.
Die Energie ist da. Die Ungerechtigkeit ist da.
Und dann kommt meine Oma ins Spiel.
Auch ihr – wie so vielen anderen – wurde einst die Existenz genommen.
Und ich bin so unendlich stolz auf sie.
Mit drei kleinen Kindern hat sie sich auf den Weg gemacht.
Diese Kraft – ihre Kraft – lebt in mir weiter.
Sie verleiht mir Mut. Den Mut, nicht aufzugeben.
Den Mut, hinzuschauen. Nicht mehr zu schweigen.
Es nicht mehr hinzunehmen.
So lange habe ich es selbst mit mir machen lassen – aus Angst.
Die Wut hat mich gelähmt.
Die Ungerechtigkeit schien zu siegen.
Aber jetzt:
Ich atme tief ein.
Ein Lächeln spiegelt sich in meinen Augen.
Der Wandel ist da.
Das Schweigen hat ein Ende.
Und ich spüre:
Es geht um so viel mehr als das, was ich gerade erlebe.
Mehr als das Drama, das sich mir erneut zeigt.
Mehr als der Verrat, den ich fühle.
Ich atme.
Ich lausche.
Und ich lenke die Wut.
Früher hätte ich sie einfach hinausgeschrien –
die ganze Kraft, die in mir war.
Aber im letzten Jahr hatte ich gute Lehrer.
Menschen, die mir gezeigt haben, wie man Wut lenkt.
Diese hochpotenzierte Energie – diese uralte Kraft,
die schon immer durch mich floss.
Oft verpuffte sie.
Weil ich sie nach außen warf.
Weil ich den Graben um mich herum tiefer grub.
Weil ich die Wut unterdrückte.
Denn so etwas gehört sich nicht, oder?
Ich habe selbst gespürt, wie zerstörerisch Wut sein kann.
Wie sie verletzen kann –
nicht immer körperlich, sondern mit jenen unsichtbaren Narben, die bleiben.
Narben, die unsere Ahninnen und Ahnen in sich tragen.
Still, schweigend – weil es ums nackte Überleben ging.
Doch all das wirkt weiter in uns.
Ob wir es wollen oder nicht.
Wir entscheiden, was davon wir ins Heute mitnehmen.
Welche Kräfte unsere Werte prägen dürfen –
und was wir liebevoll loslassen,
um es in Respekt und Dankbarkeit an die Vergangenheit zurückzugeben.
Und manchmal braucht es genau die,
die uns Steine in den Weg legen.
Die uns klein halten wollen.
Die uns demütigen.
Sie zeigen uns, wie tief das Geschenk unserer Ahnen in uns verankert ist.
Sie lassen uns aufstehen.
Mutig werden.
Unsere Stimme erheben.
Und über uns hinauswachsen –
über Muster, über Grenzen, über das, was uns einst klein hielt.
Es reicht.
Es darf sich ändern.
Es beginnt – in mir.
Und während ich diesen Weg gehe,
verneige ich mich innerlich –
vor allen, die mir begegnet sind:
in der Vergangenheit, im Jetzt,
und jenen, die noch kommen.
Denn sie alle sind Teil meines Weges.
Und jede Begegnung, jede Hürde, jede Hand –
trägt dazu bei, dass ich werde,
wer ich heute bin.